Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Kinder

MolochAufgewacht
In der Nacht wacht Rebecca auf und kann nicht wieder einschlafen. Sie wundert sich, was sie geweckt hat. Sie ist nicht durstig oder muss aufs Klo und sie hat auch nichts Schlimmes geträumt.
Um sie herum ist es ruhig und friedlich. Die Sterne funkeln am Himmel. Der Mond sieht aus wie ein großer, silberner Ball und scheint durch die offenen Vorhänge herein. „Guten Abend“, begrüßt Rebecca ihn, doch der Mond antwortet natürlich nicht.
Rebecca setzt sich auf und schaut umher. Im hellen Mondlicht kann sie die Dinge im Kinderzimmer erkennen: den Kleiderschrank, die Regale, das Kasperltheater und den Schaukelelefanten aus Holz.
Alles scheint wie immer. Kaline, das wollige Traumschaf, liegt neben Rebecca auf dem Kopfkissen. Die Puppen Mona und Lisa sitzen am Tischchen. Das Federballspiel, die Rollschuhe, das Springseil und ein roter Turnschuh türmen sich in einer Ecke, denn Rebecca räumt nicht gerne auf.Irgendwo bellt ein Hund. In der Ferne brummt ein Automotor und verklingt. Es wird wieder still. Doch plötzlich hört Rebecca ein Geräusch unter ihrem Fenster. Es kommt von draußen ... mehr
MolochDas Licht im Dunkeln
„Das ist doch Unsinn!“, sagt Papa jedes Mal zu Mama, bevor er zur Nachtschicht fährt. „Man braucht keine Angst im Dunkeln zu haben.“
Tim versteht nicht, dass Paps sich nicht vorstellen kann, wie es ist, Angst im Dunkeln zu haben. Er muss an die Jacke denken, die in seinem Zimmer an einem Haken neben der Tür hängt und im Dunkeln wie eine zerzauste Hexe aussieht – im Hellen aber bloß ein ganz normaler Anorak mit Fellkapuze ist.Tim weiß, dass man sich auf finsteren Dachböden, im Treppenhaus, wenn das Licht ausgeht, oder im dunklen Keller fürchten kann. Vielleicht vor Monstern oder unheimlichen Geräuschen - auch, wenn da gar nichts ist. Und Angst im Dunkeln kann man auch als Erwachsener haben, findet Tim ... mehr
MolochDer Mondkobold
Als ich aus der Schule nach Hause kam und gerade meine Jacke aufhing, rief meine Schwester Marthe von oben: „Beeil dich, Sofie! Da sitzt irgendwas in Trudis Körbchen!“
Trudi war unsere schwarze Katze.
Ich ließ den Tornister stehen und rannte die Treppe hoch in unser Zimmer. Trudi lag schnurrend in ihrem Korb. Weiter war nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Erst als ich die Katze streichelte, bemerkte ich ein Glänzen.
„Was ist das?“, fragte ich. Wir beugten uns über den Korb und entdeckten ein Männlein mit silbernen Haaren, bleicher Haut und spitzen Ohren, das sich zitternd in Trudis Fell kuschelte.
„Ein Mondkobold“, flüsterte Marthe. „Er sieht unheimlich aus!“
Es war tatsächlich ein Mondkobold, der uns aus großen honigfarbenen Augen anstarrte. Unheimlich fand ich ihn nicht. Es schaute eher aus, als ob er frieren würde, denn er war nackt.
„Ihm ist kalt, Marthe!“
Meine Schwester zog den Puppenkoffer unterm Bett hervor, kramte eine blaue Hose und einen roten Pullover heraus und hielt dem Kobold beides hin ... Zu lesen in der aktuellen Anthologie „Immer diese Kobolde!“, erschienen beim Wurdack-Verlag. www.wurdackverlag.de
MolochDas Trist
Eines Tages geschah in der kleinen Stadt etwas Seltsames. Alle Farben verschwanden. Einfach so!
Zuerst lief das Knallrot an den Feuerwehrautos herunter, dann das Gelb vom Briefkasten an der Ecke. Die Farben flossen von allen Dingen, Häusern, Bildern und Pflanzen. Sie tropften aus Tapeten, Gardinen oder Waschlappen. Vom Himmel regnete es blau und sogar die Haare, Augen und Körper der Menschen und Tiere verloren ihre Farbe.
Wie buntes Wasser sickerten die Farben unter den Türritzen hindurch auf die Straße. Sie vermischten sich im Rinnstein miteinander, bis nur noch eine Flüssigkeit übrig blieb, die wie Schmutzwasser aussah.
Die Leute rannten dem grauen Wasser hinterher, alle miteinander, sogar der König, die Königin, der Bürgermeister und die Polizisten. Über ihren Köpfen sauste Tilly Feenstaub durch die Luft. Sie jagte den Regenbogenfarben ihres Kleides nach.
Die Menschen riefen: „Was ist hier los? Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen!“ Ungläubig schauten sie zu, wie das schmutzige Wasser mit lautem Schlürfen im Gully auf dem Marktplatz verschwand, bis auf den letzten Tropfen. Danach war es sehr still. Nur das Sirren von Tilly Feenstaubs Flügeln konnte man hören.
Die Leute starrten einander erschrocken an. Alles und jeder schaute aus wie aus Nebel gemacht. Sogar die Sonne. Unheimlich war das, so unheimlich, dass Tilly Feenstaub an Gespenster denken musste und sich ein bisschen fürchtete.
„Zum Donnerwetter!“, brüllte der Bürgermeister. „Ich verlange eine Erklärung!“
Im gleichen Augenblick hörte man aus dem Gully ein lautes Rülpsen.
„Was war das?“, fragte Herr August. Er war der größte und stärkste Mann in der kleinen Stadt, doch jetzt hörte sich seine Stimme ängstlich an.
„Etwas muss unten im Kanalschacht sein“, sagte der zerstreute Wissenschaftler, und die Lehrerin rief: „Jemand sollte nachsehen.
Alle wichen ein gehöriges Stück vom Gullydeckel zurück. Niemand wollte hineinschauen.
„Zum Donnerwetter!“, schrie der Bürgermeister wieder. „Dann werde ich es eben tun!“ Er ging zum Gully, legte sich auf den Bauch und spähte durch die Ritzen in die Tiefe.
Nichts sah er. Gar nichts.
„Zu dunkel!“, erklärte er. „In unserer Stadt gibt es nur eine, die in der Dunkelheit ebenso gut sehen kann wie im Hellen. Unsere liebe Fee.“
Die Leute murmelten zustimmend.
„Zum Donnerwetter!“, rief der Bürgermeister zum dritten Mal. „Komm her, Tilly! Schau nach, ob du irgendwas erkennen kannst.“
Tilly legte sich neben den Bürgermeister und dann sah sie es, ganz tief unten im Kanalschacht. Den einzigen Farbklecks, den es in der ganzen Stadt noch gab. Als Tilly erkannte, was da unten hockte, entfuhr ihr ein Schrei ... Zu lesen in der aktuellen Anthologie „Das geteilte Königreich“ beim Lerato-Verlag. www.lerato-verlag.de