Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Spannung

EssenzEssenz
Gott sei Dank, dass es Joachim gibt!, dachte sie und schlüpfte in ihre Joggingschuhe.
Kurz darauf lief sie den Buchenweg in Richtung Haselwäldchen entlang, um die letzten Pfunde der Schwangerschaft loszuwerden. Mit ihren Gedanken war sie bei morgen, dem ersten Abend in vier Monaten, den sie mit ihrem Mann allein verbringen würde, seitdem Fynn auf der Welt war. Und das verdankte sie ihrem Schwager Joachim, der den Babysitter spielen würde, obwohl ihn seine Frau, samt vier Kindern, vor kurzem verlassen hatte.„Kein Problem!“, waren seine Worte gewesen. „So komme ich wenigstens auf andere Gedanken, sitze nicht allein zuhause rum und denke an nichts anderes als an Mara.“
Als Nina ging, hörte sie ihn durch die geöffneten Fenster das Lied summen, das er für seine Frau zur Hochzeit komponiert und nach ihr benannt hatte. Mara`s Song. In diesem Moment tat er Nina von Herzen leid.
Sie schüttelte die unerfreulichen Gedanken ab, verfiel in einen leichten Trab und bog in den Pfad zum Haselwäldchen ein. Aus den Wiesen stiegen die ersten Schwaden, es wurde bereits dämmrig. Die Luft auf ihren bloßen Armen fühlte sich kühl an, aber nicht so kalt, dass sie fröstelte. Trotzdem stellten sich ihre Körperhärchen auf. Erst auf den Armen, dann im Nacken, und da wurde ihr klar, dass sie nicht fror, sondern sich unwohl fühlte. So, als wenn ihr aus den Abendnebeln unsichtbare Blicke folgten.
Blanker Unsinn!
Da war niemand.
Da war nichts.
Es gab nur den Widerhall ihrer eigenen Schritte und das Keuchen ihres Atems, der ihr wie ein Echo folgte - der Nebel veränderte die Töne ... Sie bräuchte sich nur umzusehen, dann wüsste sie es. Ein kurzer Blick zurück, nur eine Zehntelsekunde, und alles wäre klar.
Aber sie tat es nicht. Angst sollte niemals siegen. Sie zog unbehaglich die Schultern hoch und lief weiter. Schneller und schneller, bis sie rannte, und gerade als sie sich aus den Schatten der Bäume lösen wollte, gerade als sie den Saumpfad verlassen und über sich lachen wollte, erwischte er sie. (WEITER)

Die Dunkelheit kam derart überraschend und war so undurchdringlich, als wäre Nina von einem Augenblick zum anderen erblindet.
Ein schwarzer Sack wurde ihr von hinterrücks über den Kopf gezogen, egal, wie gellend sie schrie und um sich schlug.
Arme umschlossen sie von hinten, Arme, die zu erbarmungslosen Klammern wurden, ihren Oberkörper zusammenquetschten und ihr beinahe die Luft nahmen. Ihre Kräfte reichten nicht, um ihnen zu entkommen.
Da war ein Mund, ganz nah an ihrem Ohr, sie fühlte die Wärme des stoßweise kommenden Atems durch das Sackleinen, hörte undeutlich eine raue Männerstimme, die zischte. „Still! Sei still – und alles wird gut. Kapiert?“
Nina glaubte ihm nicht, glaubte kein Wort - solche Geschichten gingen höchstens im Fernsehen gut aus, aber nie im wirklichen Leben. Trotzdem nickte sie und tat, was er wollte.
Sie war still.
Sie kämpfte nicht länger.
Ihr Körper zitterte so unkontrolliert, als würden Stromstöße hindurchgejagt, und sie fühlte, dass ihr Shirt warm und nass wurde von der Milch, die sie ihrem Sohn nicht geben konnte.
Vielleicht nie mehr.
Sie zuckte unter dem Stich in ihrem Oberarm zusammen, dann spürte sie nichts mehr. Ein Blitz, der ihre Ohnmacht erhellte. Um sie herum war es hart, eng und stickig ... Das Nichts verschluckte sie erneut. Irgendwann ein weiterer winziger Moment des Wachseins. Sie konnte den Sack nicht vom Kopf ziehen, weil ihre Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Außerdem fühlte sie sich schwach ... so schwach.
Besinnungslosigkeit.
Einmal meinte sie ein dumpfes Dröhnen zu hören. War es ein Automotor?
Wieder Schwärze.
Dann der erste Moment völliger Klarheit. Sie saß auf einem Stuhl in einem warmen Raum. Den Sack über dem Kopf, die Hände auf dem Rücken zusammengezurrt, die Beine gefesselt, mit einem Gefühl, als wäre ihr Körper gelähmt.
Langsam umkreisten Schritte den Stuhl.
Einmal.
Zweimal.
An einem Punkt zwischen ihren Schultern begann es zu kribbeln.
Die Schritte gingen von ihr weg. Dann wieder auf sie zu. Hielten inne.
Sie versuchte den Atem leise aus den Lungen fließen zu lassen und ebenso leise Luft zu holen, damit sie besser hören konnte.
Bodendielen ächzten, als die Tritte sich entfernten. Fast hätte Nina ihn angeschrien, lauthals gebrüllt, ihn gefragt, was er von ihr wollte - doch das brauchte sie nicht, denn plötzlich drängte sich die Erinnerung an eine Schlagzeile der letzten Woche in ihren Verstand: JUNGE MUTTER GEKIDNAPPT!
Ein Unbekannter hatte die Frau am späten Abend überfallen. Schwarzer Sack, Spritze, all das.
Nummer zwei, erkannte Nina. Ich bin sein zweites Opfer!
Der erste Überfall unterschied sich nur in einem Detail von diesem: Die Frau entkam. Ihr Hund, den sie Gassi geführt hatte, konnte den Täter vertreiben.
„Ohne meinen Rex“, erklärte sie später unter Tränen vor der Presse, „wäre ich jetzt wahrscheinlich tot. Und mein Baby müsste ohne Mutter aufwachsen.“
Nina dachte an Fynn, an sein zartes Köpfchen, die winzigen Fäuste, die manchmal durch die Luft fuhren, als ob er etwas verjagen wollte. Der Mann ging geschäftig umher. Was wird er mit antun?, fragte sich Nina. Wird es lange dauern? Weh tun? Werde ich schreien?
Unwillkürlich biss sie sich schmerzhaft auf die Unterlippe.
Sie hörte ein Klirren. Es folgten andere Geräusche: Er stellte eine Flasche ab, dann eine zweite. Irgendetwas wurde ... aufgeschraubt. Es schabte leise, Metall rieb auf Metall. Er wetzte eine Messerklinge an einem Stein. Die Schritte kehrten zu ihr zurück.
„O Gott“, betete Nina, „o Gott, bitte mach, dass es schnell geht.“ Das Licht war gedämpft, sodass es nicht in ihren Augen schmerzte. Sie musste nicht einmal blinzeln, als er den Sack fortgenommen hatte, doch die Stromstöße kehrten zurück, sobald sie ihn anschaute.
Er trug eine silbergraue Hose, ein weißes Hemd sowie Weste und Fliege in Dunkelblau, dazu weiße Satinhandschuhe. Um die Hüften hatte er eine lange, rote Schürze gewunden, die Schuhe glänzten.
Dieser Anblick versetzte sie mehr in Panik, als wenn er in tiefstes Schwarz gekleidet gewesen wäre. Das Unheimlichste war die rote Skimaske, die er über seinen Schädel gezogen hatte.
Eine Weile musterte er Nina, ohne ein Wort von sich zu geben. Natürlich sagte auch sie nichts. Ihre furchtsamen Blicke zuckten hin und her. Sie befand sich in einem kleinen Barraum. Die Hocker vor dem Mahagonitresen waren mit weinrotem Leder bezogen, in den Regalen reihten sich dutzende kostbarer Gläser. Auf dem polierten Tresen standen Wodka und Kahlua Kaffeelikör, ein Shaker, ein Glaskännchen und einer dieser klobigen Whiskeybecher, die man Tumbler nennt. Daneben lag ein Barmesser.
Zerstoßenes Eis schmolz in einem silbernen Eimerchen. Kondenswasser rann wie Tränen außen an dem Behältnis hinunter und bildete auf dem Tresen eine Lache.
Der Mann nahm den Shaker, füllte Wodka und Kahualikör hinein, gab Eis dazu und schüttelte. Er goss etwas von der Mischung in den Tumbler, nahm das Kännchen und das Barmesser und kam auf sie zu.
Sekunden später wusste Nina, wie es sich anfühlt, wenn man den Tod vor Augen hat. Sie sah nicht ihr ganzes Leben vor sich, aber die Gesichter der Menschen, die sie liebte. Besonders das ihres Sohnes. Fynn, ihr kleines Äffchen Fynn.
Blanker Zorn flackerte in ihrem Blick, der sich hinter ihrer Angst versteckt hatte. Dann stieg ätzender Hass in ihre Augen, nur um im nächsten Atemzug von einem Strom verzweifelter Tränen weggespült zu werden.
Ungerührt schob der Mann Ninas Shirt nach oben.
Sie spürte ihren Puls in dem heftigen Pochen ihrer Drosselvene. Die Klinge war nicht so kalt auf ihrer Haut, wie sie erwartet hatte, aber teuflisch scharf. Es brauchte nur einen Schnitt, um den Träger des BHs zu durchtrennen. Die Stilleinlage flatterte zu Boden wie ein verletzter Schmetterling, ihr praller Busen war entblößt.
Sorgfältig umfassten seine Satinfinger das weiche Fleisch. Er wog die warme Fülle in seiner Hand, inhalierte den Geruch. Er massierte ihre Brust, dann knetete er sie, manipulierte die empfindliche rosa Warze, bis ihre Milch zu fließen begann.
Sie presste die Lippen zusammen, um nicht zu schreien.
Seine Hände bebten, als er das Gefäß unter ihren Busen hielt und jeden Tropfen auffing. „Essenz“, flüsterte er. „Mir fehlt nur noch diese Essenz für meinen White Russian.“ Als die Milch versiegte, zog er nachlässig ihr Shirt herunter und eilte zum Tresen, wo er den Cocktail mit Muttermilch aufgoss. Er schwenkte den Inhalt des Glases wie einen Cognac, hielt es gegen das Kerzenlicht, roch daran, benetzte ein wenig seine Lippen und fuhr genießerisch mit der Zunge darüber. Langsam, ganz langsam, in kleinen Schlucken, trank er den White Russian, als wäre es ein kostbarer, alter Wein.
Mit dem zweiten Drink ließ er sich ebenso viel Zeit, danach saß er minutenlang einfach nur da. Schließlich griff er nach dem Shaker, um sich noch einen Cocktail zuzubereiten, und summte zufrieden vor sich hin.
Nina keuchte auf.
Langsam, als hätte jemand seine Bewegungen eingefroren, drehte er sich um.
Ihre Pupillen weiteten sich.
Mara`s Song!
Erst flüsterte Nina seinen Namen nur, dann schrie sie ihn heraus: „Joachim!“
Sie verstummte, ahnte, dass sie einen tödlichen Fehler begangen hatte.
Er schüttelte den Kopf. Bedauern lag darin. Bedauern, aber auch eisige Entschlossenheit.
„Es tut mir leid“, flüsterte er unter der roten Maske. „Wirklich, Nina. All das wäre nie passiert, wenn Mara bei mir geblieben wäre und mich weiter versorgt hätte. Aber sie wollte nicht mehr.“
Sie bettelte „bitte nicht“ und sah ein letztes Mal Fynns Gesicht vor Augen, bevor die Wodkaflasche ihren Schädel mit mörderischer Wucht traf.   White Russian

Der White Russian (Weißer Russe) ist ein alkoholisches Mixgetränk auf Wodka-Basis. Der Drink wurde auch durch den Film „The Big Lebowski“ populär – er war der favorisierte Cocktail von „The Dude“.
Dieser Cocktail wird aus Wodka, Kaffeelikör (z.B. Kahlua) und Milch gemixt. Wodka und Kaffeelikör werden im Shaker mit Eis geschüttelt, dann in einen Tumbler (Whiskybecher) abgeseiht und mit Milch (oder Sahne) aufgefüllt.
Manche lassen das Eis weg – der Cocktail muss aber sehr kalt serviert werden!

Zutaten: 4 cl Wodka
2 cl Kaffeelikör
3 cl Milch (oder Sahne) zum auffüllen