Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Kinder

Aufgewacht

In der Nacht wacht Rebecca auf und kann nicht wieder einschlafen. Sie wundert sich, was sie geweckt hat. Sie ist nicht durstig oder muss aufs Klo und sie hat auch nichts Schlimmes geträumt.
Um sie herum ist es ruhig und friedlich. Die Sterne funkeln am Himmel. Der Mond sieht aus wie ein großer, silberner Ball und scheint durch die offenen Vorhänge herein. „Guten Abend“, begrüßt Rebecca ihn, doch der Mond antwortet natürlich nicht.
Rebecca setzt sich auf und schaut umher. Im hellen Mondlicht kann sie die Dinge im Kinderzimmer erkennen: den Kleiderschrank, die Regale, das Kasperltheater und den Schaukelelefanten aus Holz.
Alles scheint wie immer. Kaline, das wollige Traumschaf, liegt neben Rebecca auf dem Kopfkissen. Die Puppen Mona und Lisa sitzen am Tischchen. Das Federballspiel, die Rollschuhe, das Springseil und ein roter Turnschuh türmen sich in einer Ecke, denn Rebecca räumt nicht gerne auf.
Irgendwo bellt ein Hund. In der Ferne brummt ein Automotor und verklingt. Es wird wieder still. Doch plötzlich hört Rebecca ein Geräusch unter ihrem Fenster. Es kommt von draußen ... (WEITER)
Sie hält die Luft an und horcht angestrengt: Tipp – tapp – tipp – tapp. Das klingt wie gedämpfte Schritte. Jemand schleicht ums Haus!
Leise geht Rebecca zum Fenster und wirft einen Blick hinaus. Niemand ist zu sehen, nur die Gänseblümchen leuchten wir Schnellflocken auf dem Rasen. Aber da, an der Ecke, bewegt sich etwas! Zwei Schatten, die lautlos verschwinden.
„Du meine Güte!“, flüstert Rebecca und bekommt vor Aufregung einen Schluckauf. Schnell geht sie zum Bett zurück. Darunter liegen in kunterbunter Unordnung Glasmurmeln, Schokoladenpapier, der Kopf ihrer Barbiepuppe, ein Buch, die Haarspange, die sie schon überall gesucht hat, und der zweite rote Turnschuh.
Mitten in dem Durcheinander thront der honigfarbene Stofflöwe Theobald und passt auf, dass sich kein Monster unter das Bett traut – nur, falls es welche gibt. Aber das glaubt Rebecca nicht. Na ja, sie glaubt es beinahe nicht, deswegen haust Theobald ja unter dem Bett. Für alle Fälle! Er hat zwar nur noch ein Glasauge, aber niemand kann so gut sehen wie er, niemand ist so mutig und stark! Mit ihm fürchtet sich Rebecca vor gar nichts.
Von draußen hört man ein Flüstern.
Giftzwerge?, überlegt Rebecca. Oder Nachtgespenster?
Sie zerrt Theobald hervor, klemmt ihn sich unter den Arm und augenblicklich verschwindet ihr Schluckauf. Schnell schlüpft sie in ihre Pantoffeln.
Jetzt quietscht es aus dem Garten.
Rebecca tapst die Treppe hinunter und stiehlt sich zur Haustür hinaus. Sie duckt sich, huscht wie eine Katze den Zaun entlang und versteckt sich hinter einem Vogelbeerstrauch.
Die Geräusche sind jetzt lauter. Sie kommen vom Rasen gleich bei der Terrasse. Rebecca hält Theobald ganz fest, tritt neugierig hinter dem Busch hervor und traut ihren Augen nicht. Beinahe hätte sie den Löwen fallenlassen. Sie blinzelt und schnappt nach Luft. Das gibt es nicht! Auf ihrer Wippe sitzen im silbernen Mondlicht doch tatsächlich ... also da hocken wahrhaftig ... Nicht zu glauben!
„Mama!“ ruft Rebecca fassungslos. „Papa!“
Die Eltern schauen sie an. Papa winkt, Mama hängt oben in der Luft und baumelt mit den Beinen. Sie kichert und sagt: „Komm her, Rebecca, ich kann auf meiner Seite Hilfe brauchen. Papa ist ganz schön schwer!“
Die Wippe senkt sich, bis Mamas Füße den Rasen berühren. Flink klettert Rebecca zur ihr auf den Sitz – samt dem einäugigen Theobald. Sie wippen und lachen.
Und alles nur, weil ich aufgewacht bin und nicht wieder einschlafen konnte, denkt Rebecca und freut sich über diese besondere Nacht.