Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Schmunzeleffekt

MolochDark Storys
- düstere Geschichte(n) in Gelsenkirchen

Morgen ist der 21. Oktober – und somit die Lesung in Gelsenkirchen zum Thema Dark Storys – düstere Geschichten. Ich freue mich darauf! Endlich werde ich Anne Zeisig und Dörthe Huth kennen lernen, außerdem Eva Markert, Heike Wulf und Silvana Richter wieder sehen. Ich bin auch gespannt auf das Aufstehmonster, das ich bisher nur aus Schreibforen kenne und das sich als Zuhörerin angekündigt hat.
Also fiebere ich dem Abend entgegen – einerseits vor Vorfreude, andererseits vor Lampenfieber.
Einziger Wermutstropfen: Ich finde weder Zeit noch Zuhörer um lesen zu üben. Plötzlich sind alle Familiemitglieder mit unaufschiebbaren Angelegenheiten beschäftigt oder schlicht verschwunden. Sogar der Kater.
Einzig Eva Markert erbarmt sich, schlägt sich die Nacht um die Ohren und hört sich am Telefon meine Texte an. Sie ist zufrieden, aber ich definitiv nicht, denn ich weiß, ich kann es besser. Doch ich werte es als gutes Omen, da eine „verpatzte“ Generalprobe bekanntlich den Erfolg einer Premiere garantiert. Im Gegenzug höre ich mir Evas Geschichten an, die ich zwar in- und auswendig kenne, aber noch nie auditiv präsentiert bekam.  WEITER
Jedenfalls werde ich auf der Fahrt noch ein wenig proben, denn Silvana und Heike werden mich mitnehmen. Ich gestand ihnen, dass ich allein eher in Novosibirsk als in der beinahe Nachbarstadt Gelsenkirchen ankommen würde.
Endlich stehe ich am vereinbarten Treffpunkt in Lünen, und warte. Ich gehe hin und her, wobei ich meine Geschichten laut deklamiere, selbstverständlich mit der nötigen Betonung, Gestik und viel Gefühl. Passanten werfen mir Blicke zu. Von belustigt über besorgt bis misstrauisch ist alles dabei.

Pünktlich fährt Silvanas Campingbus vor, und bereits eine halbe Stunde später parken wir vor dem Gesundheitshaus. Leute stehen vor dem Eingang Schlange. Wir werden bereits erwartet! Grüßend durchschreiten wir die Fangemeinde, werden von einer Dame empfangen und in einen rappelvollen Saal geleitet. Bis auf den letzten Platz sind alle Stühle besetzt, einige Leute müssen stehen.
Die anderen Autorinnen sind schon da. Dörthe Huth, Anne Zeisig und Eva Markert, die ihren Mann Hartmut mitgebracht hat. Nachdem die Begrüßungszeremonie vorbei ist und Heike die Verkaufsexemplare von Dingerchen und Madrigal vor sich aufgetürmt hat, geht es los.
Alles läuft reibungslos. Die Zuhörer lachen an den richtigen Stellen, gruseln sich, wenn es unheimlich ist, schreien „Iiihhh“ wenn sie sich ekeln sollen, und halten mit den Helden unserer Geschichten den Atem an. Mehr noch: Sie morden, fliehen, leiden, spinnen Intrigen, werden verhaftet oder entkommen. Ein, zwei Zuhörer tupfen sich dezent Tränen aus den Augenwinkeln.
Wir werden emporgetragen von einer Woge begeisterter Zuhörerlust. Der Beifall ist beinahe als frenetisch zu bezeichnen. Was heißt hier „beinahe“! Er ist frenetisch. Wir waren schlicht ausgedrückt fantastisch. Kein Wunder, dass man Heikes provisorischen Verkaufsstand stürmt! Die Liste der Vorbestellungen, die sie entgegennimmt, ist endlos. Stolz und glücklich sagen wir für weitere Lesungen zu und beschließen, dass wir zur Abrundung des gelungenen Abends noch einen guten Italiener besuchen wollen. So hatte ich mir das vorgestellt!
Genauso.

In Wahrheit stand ich zwar tatsächlich laut lesend am Treffpunkt und wurde auch seltsam angeschaut, doch dann ...

Silvana und Heike nahmen mich an Bord. Auf der rasanten Fahrt durch die hereinbrechende Dunkelheit unkte Heike, dass es sogar in Gelsenkirchen ein oder zwei Leute geben sollte, die sich für Lesungen interessieren, selbst dann, wenn Schalke spielt.
Silvana brauste mit ihrem dröhnenden Campingbus souverän über Autobahnen und Straßen. Wir kamen gut voran, erst kurz vor unserem Ziel ging es wegen einer Baustellensperrung nicht weiter. Wir mussten einer Umleitung folgen. Trotz Riesenumweg trafen wir beinahe pünktlich ein: Drei Minuten vor Lesungsbeginn hasteten wir durch den Park, der das Gesundheitshaus umgibt.
Menschen scharrten sich vor dem Eingang, ein gutes Zeichen! Doch die vermeintlichen Literaturinteressierten entpuppten sich als eine Gruppe von Nikotinjunkies, die keinerlei Notiz von uns nahmen.
Dafür begrüßte uns die Leiterin des Hauses, führte uns ins Lesungszimmer und verschwand anschließend auf Nimmerwiedersehen.
Natürlich warteten die anderen Autorinnen schon. Ich umarmte Eva, schüttelte ihrem Mann die Hand, begrüßte Dörthe. Anne erkannte ich auf Anhieb, weil sie haargenau wie die Anne auf den Fotos aussah.
Die große Frau mit der blonden Kurzhaarfrisur konnte demnach nur ... „Aufstehmonster?“, fragte ich lachend. Die Autorin und Herausgeberin Jennifer Schreiner alias Aufstehmonster nickte grinsend.
Nachdem Heike die Verkaufsexemplare von Dingerchen und Madrigal aufgebaut hatte, ging es los ... das Warten auf die Zuhörerschaft.
Langes, langes, langes und letztlich vergebliches Warten.
Nach dreißig Minuten gaben wir auf, nicht ohne festzustellen, dass Heike ins Schwarze getroffen hatte: Es gab in Gelsenkirchen ein, zwei Leute, die an unserer Lesungen interessiert waren: Hartmut und Jennifer.
Okay, okay! In Wahrheit kommt Hartmut aus Ratingen und ist außerdem der Mann einer der Autorinnen. Wir müssten ihn also eigentlich von der Anzahl unseres Publikums abziehen.
Schließlich packte Heike den Bücherberg wieder ein, die Markerts fuhren heim, Anne kehrte zu einer Geburtstagsfeier zurück.
Und der Rest von uns? Ging keineswegs in ein tolles italienisches Restaurant um die verletzten Künstlerseelen mit Nudeln, Rotwein und Tiramisu wieder aufzurichten. Wir fanden nämlich keines. Stattdessen speisten wir landestypisch à la Ruhrpott in der Dönerbude um die Ecke.
Es war voll, multikulti und laut. Wir Autorinnen verstanden uns prima. Deshalb beschlossen wir für das Ruhrgebiet einen Autorenstammtisch ins Leben zu rufen.

  1. Vielleicht sogar in Gelsenkirchen ...