Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Schmunzeleffekt

MolochCDH
Alles fing damit an, dass mir der Mut fehlte diesem Club beizutreten.
Beim Friseur hatte ich in einem Magazin darüber gelesen und mich zu Hause sofort an den PC gesetzt und die Homepage besucht.
Ich war hin- und hergerissen, ob ich tatsächlich Mitglied bei ihnen werden sollte – oder nicht. Das offizielle Manifest jedenfalls war kurz, bündig und ungemein befreiend:

Club der Hässlichen
1. Wir sagen es laut: Wir sind hässlich – und wir sind viele.
2. Es ist ein Unrecht, dass die Welt von der Schönheit regiert wird. Wir erkennen diese Ordnung der Dinge für uns nicht länger an.
3. Wir befreien uns deshalb von falschen Versprechungen und der heimlichen Hoffnung, eines Tages selbst schöner zu werden.
4. Jeder, der sich hässlich fühlt – aus welchen Gründen auch immer –, kann Clubmitglied werden. Die Mitgliedschaft gilt ein Leben lang.
5. Wir unterstützen das Anliegen der Hässlichen nach Kräften. Alle Schönen sind eingeladen, sich mit uns für ein Leben jenseits der Oberfläche zu engagieren.
6. Wir stecken unsere Energie in etwas, das uns am Herzen liegt. Hässlichkeit dient uns nicht mehr als Ausrede für ein ungelebtes Leben.
7. Wir wissen: Niemand ist für jeden hässlich!

Auch die Aufnahmebedingen waren denkbar einfach. Es musste lediglich ein kleiner Check durchgeführt und eine Anmeldung per Mail abgeschickt werden, schon konnte man sich zu den Mitgliedern zählen.
Hässlichkeitscheck stand auf der Homepage der Hässlichen.

Und: Wir freuen uns über jeden, der dem Club der Hässlichen beitreten möchte.
Bevor Sie jedoch Mitglied werden, nehmen Sie bitte an unserer kleinen Umfrage teil.

Suchen Sie mit der Maus den Körperteil, den Sie bei sich am hässlichsten finden, klicken Sie diesen an und gehen Sie auf „weiter".
Neben dieser Anweisung war Michelangelos David für die Männer und Aphrodite für die Frauen abgebildet. Ein Blick auf Davids bescheidenen Penis, und ich glaubte zu wissen, womit er nicht zufrieden gewesen war.
Mit dem Cursor glitt ich über das Gesicht der Göttin, klickte auf „Nase“ und weiter ging es zu dem bestätigenden Satz: Mein hässlichster Körperteil ist die Nase.
Sie war zu groß für mein Gesicht, viel zu groß, und hatte außerdem eine schiefe Scheidewand, weswegen ich schnarchte. Sie gehörte in die harte, zerschlagene Visage eines Boxers, nicht in das Antlitz einer Industriekauffrau.
Ich fühlte mich eigenartig getröstet, als ich die Ergebnisse der Umfrage studierte: 40 wahrscheinlich hässliche Personen fanden ihre Nasen garstig. Zu groß, klein, breit oder schmal, buckelig, verpickelt – was auch immer: jedenfalls hässlich.
40 WhPs (wahrscheinlich hässliche Personen)! Nur der Bauch, mit 86 WhPs, übertraf dieses Ergebnis.
Ich war erstaunt, dass zwei WhPs ihre kleinen Zehen hässlich fanden; aber niemand seine Knöchel. Als Nächstes riskierte ich einen Blick auf die Hinterteile: nur magere 10 Whps; kaum der Rede wert. Na ja; wer sah sich auch schon ständig von hinten?
Dagegen litten immerhin 26 an ihren Oberschenkeln, 12 unter ihren Hüften und 17 waren über ihre Brüste unglücklich.

Es war ein wunderbares Gefühl, nicht die einzige Hässliche zu sein, und ich lächelte. Kurz darauf japste ich nach Luft: 24 WhPs behaupteten, gar keine WhPs zu sein, waren der Ansicht, sie hätten keinen hässlichen Körperteil.

Deprimierend … Kaum auszuhalten! Ich drückte auf die Maus und auf dem Bildschirm erschien:
Ja, ich fühle mich hässlich und will Mitglied im Club werden.
Sendet mir bitte einen Ausweis gegen Einsendung eines frankierten Rückumschlags.
Mit dem Absenden der Bestellung erhalte ich per Mail eure Adresse.
Die von mir gemachten Angaben unterliegen strengstem Schutz und werden nicht für andere Zwecke verwendet.

Ich müsste Namen, Adresse, E-Mail und Telefonnummer verraten. Raus aus der
Anonymität mitsamt meiner grauslichen Nase. Erst dann könne man mir den Mitgliedsausweis zusenden. Ich schaute mir die Abbildung an: Er war orange, geradezu knallig, und etwa so groß wie mein Organspendeausweis. Vorn zierte das Bild eines Nasenaffen das Dokument. Sehr auffällig, wenn man es im Portmonee mit sich herumtrug.
Und ausgerechnet das Konterfei eines Nasenaffen! Das versetzte mir einen gehörigen Stich. Der Affe war hässlich wie die Nacht. Trostlos starrte er vor sich hin. Er hatte eine Nase, die aussah, als trüge er einen Hodensack mitten im Gesicht.
Ich überlegte, dass meine Nase vielleicht gar nicht sooo furchtbar war, und zauderte die Anmeldung abzusenden. Die Mitgliedschaft galt immerhin mein ganzes Leben! Das wollte gut überlegt sein, wo ich doch einen Mann suchte! Würde es potentielle Kandidaten abschrecken, wenn sie wüssten, dass ich Mitglied im Club der Hässlichen war?
Diese Sorge hatten die Gründer des Clubs nicht; sie waren ein Paar. Ich guckte mir ihre Fotos genau an. Beide hatten völlig durchschnittliche Nasen und waren nicht hässlich. Ich fragte mich, welchen Körperteil sie an sich am hässlichsten fanden. Die Ohren? Die Füße?
Auf jeden Fall behaupteten sie einhellig, ein hässliches Paar zu sein. Als Referenz gaben sie an, sie seien Mitglied im italienischen „Club dei Brutti“. Sie führten ins Feld, dass es ihnen ein Anliegen sei, den Hässlichen auf der Welt eine Stimme zu geben. Darum hätten sie den deutschen Club der Hässlichen gegründet.
Ich glaubte ihnen. Und deshalb würde ich ihrem Club vor meinem Beitritt einen persönlichen Besuch abstatten. Heute Abend, in der Ponybar, wo sie einen Tanzabend veranstalteten. Kostenlos und öffentlich für jedermann. Es hieß, zur Not könne man auch hingehen, wenn man gar nicht hässlich wäre, sondern bloß neugierig.
Aber: Was zog man zu solch einer Gelegenheit an? Wie sollte die Frisur aussehen, und war es ratsam, Make-up aufzulegen? Normalerweise ging ich nie ungeschminkt aus dem Haus, schon allein, weil ich eine raffinierte Schminktechnik erlernt hatte, mit der meine Nase optisch kleiner wirkte. Niemand sollte mich je wieder Zwerg Nase nennen!
Ich entschied mich schließlich für Jeans, ein schwarzes, enges Shirt, Pumps und mein übliches Make-up.
Was würden die Hässlichen über mich denken? Dass ich nicht zu meiner Nase stehen würde und mich aufdonnerte, ehe ich vor die Tür ging?
Einerlei!
Vor dem Haus wartete mein Taxi. Der Fahrer pfiff anerkennend, als ich einstieg, ein Umstand, der mich gänzlich verunsicherte. Am liebsten wäre ich zurückgegangen, um mein Outfit noch einmal überprüfen! War ich am Ende zu schön für die Hässlichen?
Zu spät, wir fuhren bereits! Kurz darauf war ich da, trat mit wild pochendem Herzen ein – und traute meinen Augen nicht!
Der Anblick war ernüchternd. Nichts unterschied diese Tanzveranstaltung von anderen: gute Musik, Drinks, Gespräche und jede Menge Leute, die gar nicht hässlich waren, sondern völlig normal und durchschnittlich aussahen, von denen man lediglich einigen ansah, dass sie sich hässlich fühlten.
Und hier traf ich Herbert. Es knisterte sofort zwischen uns. Drei, vier Gläser Rotwein später vertraute er mir an, dass er sein Kinn hässlich fand (8 WhPs), seine Genitalien (17 WhPs) seien jedoch vollkommen in Ordnung.
Ich mochte seine Hände. Und seine Augen, seine Lippen und die Nase, die so klein war, dass sie die meine beim Küssen nicht behinderte. Sie war niedlich, sah ein bisschen wie ein Blumenkohlröschen aus: weiß und knubbelig.

So kam es, dass ich Herbert noch auf einen Drink einlud, als er mich nach Hause brachte.

„Gern!“, sagte er und fuhr mir mit dem Zeigefinger zärtlich über die Nase. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich froh, dass sie so lang war!
Ich servierte den Tequila am Küchentresen, stellte den Salzstreuer hin und schnitt die Zitronen mit dem scharfen Fleischermesser in Spalten.
Wir kippten den Tequila, leckten das Salz von den Handrücken, bissen in die Zitronen, verzogen die Gesichter, brüllten „Hossa!“ und lachten wie verrückt.
„Noch einen!“, verlangte Herbert. „Hossa!“
Die zweite Runde lief wie gehabt und Herbert bestellte eine dritte Lage. „Hossa!“ Er stampfte mit den Füßen.
„Si, Señor!“, kicherte ich, warf das Messer übermütig in die Luft und wartete siegessicher, dass es mit dem Griff in meiner ausgestreckten Hand landete – was es aber nicht tat. Stattdessen zischte es knapp an Herberts Stirn vorbei und sauste, die blitzende Klinge voran, durch seine blumenkohlförmige, winzige Nase. Ruckzuck, mittendurch – als wäre sie aus Butter.
Es klirrte, als das Messer auf die Fliesen schlug, und die Nase machte ein Geräusch, als wäre eine sehr kleine Pflaume auf die Tischplatte gefallen.
Ups!“, rief ich erschrocken. „`Tschuldigung!“
Herbert brüllte wie am Spieß, trotzdem kam ich nicht umhin zu bemerken, dass er eigenartig aussah, ohne Nase. Wie ein Orang-Utan. Sein feines, rotbraunes Haar stand unordentlich ab und er hatte den Unterkiefer vorgeschoben. Wütend presste er ein Geschirrhandtuch auf die heftig blutende Wunde und sah mich anklagend an.
Ich schwieg schuldbewusst, nahm hektisch das Näschen, stopfte es in einen Gefrierbeutel, den ich auf Eis legte, und rief den
Notarzt.

Herbert wimmerte vor Schmerzen.

Mir wurde klar, dass die Sache mit uns vorbei war, noch ehe sie recht begonnen hatte. Ich wusste auch gar nicht, was ich sagen sollte, und war unendlich erleichtert, als es endlich klingelte.
Herbert floh in den Krankenwagen, während ich das Eisfach aufriss. „Hier!“, sagte ich zu einem der Sanitäter und drückte ihm den Gefrierbeutel in die Hand.
Dann rasten sie davon, mit Martinshorn und Blaulicht.
Ich ging zurück in die Wohnung, sah, dass ich in der Hektik das Gefrierfach aufgelassen hatte, und wollte es schließen.
„Ups!“, entfuhr es mir zum zweiten Mal an diesem Abend.
Der Beutel mit der köstlichen, weißen Trüffel war weg.
Stattdessen lag da …

 

Den Club der Hässlichen gibt es wirklich. In Hamburg. Die Homepage.
www.clubderhaesslichen.de
Die Gründer des Clubs (sehr sympathische, freundliche und nicht hässliche Leute) freuen sich, dass ich sie für eine KG ausgesucht habe und haben mir gestattet, mich schadlos zu halten.
Vielen Dank dafür!



Zu lesen in der aktuellen Anthologie „Der Tod aus der Teekiste“, erschienen beim Schreib-Lust Verlag.  www.schreib-lust.de