Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Schmunzeleffekt

MolochMiranda

Bis mir Miranda begegnete, hatte ich keinen Namen. Ich war einfach nur ich. Bei unserer Art ist so was nicht üblich. Wozu, wenn einem der ureigener Wohlgeruch vorauseilt und jeder weiß, mit wem er es zu tun hat?
Bei ihnen ist das anders. Ganz anders. Ihre infantilen Sinne zwingen sie Verhaltensweisen an den Tag zu legen, über die unsereiner laut lachen würde - was eigenartig aussähe, sehr eigenartig.
Doch Katzen lachen nicht. Sie grinsen höchstens mal oder lächeln und zeigen dabei ihre Zähne.
Miranda und ich trafen in einer warmen Mainacht aufeinander. Ich hatte gerade mein Revier mit Duftmarken markiert, saß auf meinem Lieblingsauto in einem Hinterhof und sang der rolligen Siamesin aus Haus Nummer 16 ein Liebeslied.
Die Süße antwortete sehnsuchtsvoll, aber sie kam nicht zu mir. Also verdoppelte ich meine Bemühungen, vergaß alles um mich herum und gab die inbrünstigsten Töne von mir. In diesem Augenblick hörte ich Mirandas Stimme: „Guten Abend. Du bist das also, der jede Nacht seine Fußspuren auf meinem Wagen hinterlässt.“
Ich zuckte zusammen und wäre vor Schreck beinahe von der Motorhaube gefallen. Aus meiner Kehle kam ein unartikuliertes Jaulen.
Gar nicht schlecht für einen Menschen, gar nicht schlecht! Immerhin fasste ich mich schnell wieder.
 „Guten Abend“, erwiderte ich höflich, obwohl ich wusste, dass sie kein Wort begriff. Menschen verstehen kein kätzisch oder irgendeine andere Tiersprache, ein Umstand der sie glauben lässt, wir könnten nicht kommunizieren.
Scheel beäugte ich die zierliche Frau, die im Schatten der Bäume auf der Wiese saß. Sie hatte wirre Locken von der Farbe reifer Kastanien, ihr Körperduft war köstlich herb und sie kaute Pfefferminzkaugummi. Minze! Ein Geruch, dem ich kaum widerstehen konnte.
„Du bist ein schöner Bursche.“
Ich gähnte, zeigte ihr dabei mein tadelloses Gebiss.
„Wem gehörst du, hm?“, wollte sie wissen. Ich schüttelte nach Art der Menschen den Kopf, wohlwissend, dass manche von ihnen einfache Gebärden begreifen.
Langsam kam sie näher. Trotzdem baute ich mich warnend auf, machte einen Buckel und sträubte mein Fell.
„Ich bin Miranda“, sagte sie. „Und du?“
„Der große Rote“, antwortete ich, obwohl es natürlich völlig zwecklos war.
In der Ferne hörte ich die Lockrufe der Siamesin und antwortete meiner Angebeteten mit einem lang gezogenen Miau.
„Romeo!“, rief Miranda. „Ich werde dich Romeo nennen.“ Sie wies mit dem Kopf zu Haus Nummer 16. „Deine Freundin ist rollig, was? Bestimmt muss sie daheim bleiben, sie ist eine reinrassige Siamesin.“
„Ich mag Exotinnen“, maunzte ich und leckte mir die rechte Pfote.
„Sie werden keinen Streuner an sie ranlassen.“ Miranda lachte und für einen winzigen Augenblick glaubte ich beinahe, dass sie mich verstand.
„Komm, lass dich mal kraulen“.
Ich legte die Ohren an und fauchte: „Das geht nicht, du kannst mich nicht einfach so anfassen. Ich bin ein Wildkater und nicht zahm!“
Miranda zog ihre Hand zurück. Einige Zeit stand sie schweigend da und meinte dann: „Wir werden einander wohl erst kennen lernen und uns langsam anfreunden müssen.“
Anfreunden? Ich war noch nie mit einem Menschen befreundet gewesen! Wozu sollte das gut sein? Sie war außerdem nichts besonderes, glich tausend anderen Personen, ich hatte kein Interesse an ihr.
Gut, ich wusste, dass einige von ihnen mit Felis zusammenleben, ihnen regelrecht verfallen sind. Sie lernen sogar einfache Kommandos auszuführen: Türen öffnen, Futter bereitstellen, Streicheleinheiten zu geben oder das Kaminfeuer anzuzünden.
Umgekehrt wusste ich von keinem einzigen Fall, in dem eine Katze von einem Menschen abhängig wurde. Nein, sie bleiben bei ihnen, weil sie es wollen – wenn ich das auch nicht begreifen konnte. Ganz und gar nicht!
Der silbergraue Tigerkater aus dem Schrebergarten, der bei einem alten Ehepaar lebt, hatte mir dazu einmal gesagt: „Es ist, als wenn man den ganzen Tag satt in der Sonne liegt und wieder ein Kätzchen wäre, dass von Mutters rauer Zunge geputzt wird.“
Vorstellen konnte ich mir das nicht!
Plötzlich wurde mir bewusst, dass die Siamesin nicht mehr nach mir rief.
Kein Grund länger zu bleiben. Ich wandte mich von Miranda ab, sprang vom Auto und ging meiner Wege.

In der folgenden Nacht war sie unter den Fliederbäumen und kaute Kaugummi.
Ich beachtete sie nicht weiter, sprang auf ihr Auto, hinterließ Pfotenabdrücke wo es irgend ging und brachte der Siamesin mein Ständchen dar.
Erst in der dritten Nacht linste ich aus den Augenwinkeln zu ihr rüber. Sie hockte einfach nur da, ein bisschen näher als vorgestern und näher als gestern. Von nun an tat sie das jedes Mal, rückte Zentimeter für Zentimeter vor, kam mir aber nie zu nahe.
Dann kam der Schock! Ich ertappte mich dabei, dass ich mich auf den Pfefferminzduft und ihren Anblick freute. Ebenso auf ihre Stimme, wenn sie mich begrüßte: „Hallo, Romeo.“
Was bedeutete das? Ich horchte auf ihre inzwischen vertrauten Schritte, die anders waren als die aller anderen Menschen. Ich lief nicht vor ihnen davon um mich zu verstecken. Im Gegenteil! Wenn Miranda sich verspätete, wartete ich auf sie, bevor ich meinen Katzengesang anstimmte.
Eines Nachts formte Miranda aus dem silbernen Kaugummipapier ein Kügelchen und schnippte es in meine Richtung. Es prallte von der Windschutzscheibe ab, rollte auf den Boden und ehe ich mich versah, sprang ich hinterher und spielte damit. Es glitzerte im Mondlicht, es kullerte hin und her wenn ich es anstieß und es roch einfach vortrefflich nach Minze. Und nach Miranda.
Das Papierbällchen wurde zu einem Ritual - sehr zu Mirandas Freude. Und mir gefiel, dass es ihr gefiel. Obendrein bedauerte ich, wenn sie aufstand und sagte: „Bis morgen, Romeo.“
Gleichzeitig freute ich mich über die Schale Katzenfutter, die sie nach diesen Worten vor mich hinstellte, nie zweimal hintereinander das gleiche Menü: Hühnchen, Leber, Kaninchen, Truthahn, Ente, Rind, Lamm.
Alles Speisen, die ich bisher nicht kannte. Bis auf das Kaninchen.
Vor zehn Tagen streckte sie vorsichtig die Hand aus als ich fraß und fuhr mir sacht, ganz sacht, über den Kopf, den Nacken entlang, den Rücken hinunter bis zur Schwanzspitze.
Ich grollte wie ein Gewitter, verstärkte es noch, als sie mich ein zweites und drittes Mal berührte. Erst als sie schon fort war fiel mir auf, dass ich nicht geknurrt hatte – sondern geschnurrt. Geschnurrt!
Seit diesem Tag ging ich zum Fressen auf ihre Terrasse, döste auch öfter auf ihrem Liegestuhl, der im Schatten eines Sonnenschirmes stand oder ging ins Haus, wenn es regnete.
Mittlerweile habe ich nichts mehr dagegen, dass sie mich streichelt. Im Gegenteil! Ihre Hände sind von der Gartenarbeit ganz rau, genau wie die Zunge meiner Mutter.
Ich liebe das!
Ich habe Miranda ein paar Brocken kätzisch beigebracht und sie sowohl für beredte Katzenblicke als auch Katzentelepathie sensibilisiert. Sie ist erstaunlich begabt und erfüllt all meine Wünsche.
Als kleines Dankeschön bringe ich ihr hin und wieder eine erlegte Maus, Ratte oder ein Kaninchen, obwohl ich glaube, sie mag das nicht.
Manchmal – eher selten - tanze ich für sie, drehe mich auf den Hinterbeinen im Kreis. Dann lacht sie hellauf, nennt mich Fred Astair und gibt mir irgendeine Köstlichkeit, oft genug delikaten Parmaschinken.
In letzter Zeit darf ich sogar in Mirandas Bett schlafen. Das ist der Himmel auf Erden! Ich lausche ihren Atemzügen wenn sie schläft und sauge tief ihren herben Geruch ein, der sich mit einem Hauch Minze vermischt.
Wenn sie schlecht träumt, stupse ich sie mit der Nase an und gebe ein lautes, beruhigendes Schnurren von mir. Dann seufzt sie im Schlaf und kuschelt sich an mich.
Ich glaube, ich werde bei ihr bleiben.
Auch wenn ich noch nicht weiß, was sie mit kastrieren meint und warum es dem silbergestreiften Tigerkater aus dem Schrebergarten einen Heidenschreck einjagte, sodass er mit einem Jaulen davon stob, als ich ihn danach fragte.