Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Schmunzeleffekt

Fisch verliebtFisch verliebt

Ich liebe Männer mit dem Sternzeichen Fische.
Meiner Meinung nach unterscheiden sie sich von den meisten anderen Männern, denn sie sind freundlich, nett und liebevoll. Sie besitzen Fantasie und sind kreative Menschen, außerdem ordnungsliebend, treu, hingebungsvoll und romantisch.

Der erste Mann, den ich richtig lieb hatte, war mein Großvater.
Selbstverständlich ein Fischegeborener.
Sein Bart war kratzig und er konnte die köstlichsten Suppennudeln zubereiten. Ich sah ihm gerne zu, wenn er den Teig knetete, ihn mit Mehl bestäubte um ihn dann dünn auszurollen. Behutsam legte er ein Leinentuch über den Nudelteig, und ließ ihn ruhen.
Nach einiger Zeit griff er zu einem großen, scharfen Messer, mit dem er den Teig in feine, dünne Nudelbänder zerteilte, die er in eine kochende Brühe warf.
Durch eine Kriegsverletzung ging er immer leicht vorn übergebeugt. Es sah aus, als wenn er sich den ganzen Tag verneigen würde, oder, als forderte er mich auf ihn zu umarmen.
Was ich gerne und häufig tat, weil in seinem Gesicht ständig Bartstoppen standen, die silbrig aus der Haut drangen und wunderbar schabten. Wie eine Katze konnte ich mich daran reiben und – ich schwöre es – ich schnurrte sogar.
Hinter dem Haus gab es einen kleinen Garten mit Obstbäumen, Erdbeeren einem Gemüsebeet und Tomatenstöcken.
Zwischen den Tomatenstauden steckte ein altes, rostiges Kurzschwert, um das sich die Pflänzchen ringelten.
Natürlich war es mir verboten die blinde Klinge herauszuziehen, aber ich tat es trotzdem und stellte mir vor, dass es silbern im Sonnenlicht blitzte, während ich es durch die Luft zischen ließ und gegen unsichtbare Gegner stritt.
Ich kämpfte, und siegte!
Und schnitt mir in die Wade.
Ich schmuggelte das Schwert ins Haus, dann rubbelte ich es mit Stahlwolle und Scheuerpulver so sauber, wie es nur ging. Es hatte seinen geheimen Platz unter meinem Bett, bereit mir zur Seite zu stehen, wenn es galt Abenteuer zu bestehen.
Wenn es abends kühl wurde, feuerte Großvater in der Küche für Oma und mich den Ofen an, dann saßen wir um den Abendbrottisch, aßen, redeten und lachten, bis ich so müde war, dass er mich zu Bett brachte.
Noch heute höre ich das Ticken der alten Uhr auf dem Schlafzimmerschrank, wenn ich nachts in das Bett meiner Großeltern wechselte und mich zwischen sie legte, nachdem ich behauptet hatte keinen Schlaf zu finden.
„Wieso kannst du nicht schlafen, Silli?“, fragte Oma.
„Weil aus dem Fußboden im Kinderzimmer große, rote Augen schauen,“ behauptete ich.
Meine dicke Oma richtete sich geräuschvoll auf, knipste die Nachttischlampe an und sah mich zweifelnd an.
„Rote Augen?“
„Ja, genau. Und die beobachten mich. Das ist unheimlich.“
„Wieso ist es unheimlich? Weil sie dem Lügenteufel gehören?“
„Nein, weil sie glühen. Das ist so hell, dass ich nicht schlafen kann.“
Diese Ausrede trug ich so überzeugend vor, dass ich regelmäßig den Boden des Zimmers absuchte, immer in Sorge die feurigen Augen könnten tatsächlich erscheinen.
Opa kicherte auf seiner Seite, Oma seufzte. Ich kletterte über die wolkendicken Decken ins Bett, und schmiegte mich auf die Besucherritze.
Aus taktischen Gründen schwieg ich zwanzig Sekunden, bis ich zur Sache kam.
„Opa, erzählst du mir eine Gute-Nacht-Geschichte?“
Wieder ertönte sein heiseres Lachen. Er sagte niemals Nein und erfand jede Nacht neue Märchen für mich, denen ich mit angehaltenem Atem lauschte.
Geschichten, in denen ich mutig war, stark und schön. Und einen Vater hatte.
Geschichten, in denen ich mit Piraten segelte und Schätze hob. Ich war die uneingeschränkte Heldin, und dachte mit bebendem Herzen an das Schwert unter dem Bett, das ich wegen der roten Augen nicht holen konnte. WEITER
In seinen Geschichten hieß ich niemals Silke, sondern ich hatte so wunderbare Namen wie Aevin, Edalo Kosch und Lefpagua. Ich ritt auf Drachen, schloss Freundschaften mit Riesen und hatte keine Angst vor Räubern oder Geistern.
Außerdem liebte ich Robin Hood. Ziemlich lange.
Bis ich von Odysseus hörte, und mir wünschte, ich wäre es gewesen, für die er die Ösen der zwölf Äxte mit einem einzigen Pfeil durchschoss, nur, um seiner Frau zu beweisen, dass er ihr Gatte war. Mich traf dieser Pfeil mitten ins Herz.
Irgendwann war ich zu alt für Lefpaguas Abenteuer. Ich ging nicht mehr so häufig zu meinem lieben, alten Fisch.
Heute denke ich oft, hätte ich es doch getan. Dann entsinne ich mich seiner Geschichten und höre sein Kichern.

Als ich fünfzehn war, begegnete mir meine erste große Liebe.
Ein Fisch Namens Michael.
Seine grünen Augen erinnerten mich an Robin Hood und die dunkelblonden, verwegenen Locken an Odysseus.
Obwohl Michael gerade siebzehn Lenze zählte, sprossen bereits die ersten Bartstoppeln aus seinem Kinn. Als ich es bemerkte, scheuerte ich meine Wange daran und schnurrte.
Es war, als hätte der liebe Gott Opa, Robin Hood und Odysseus in einen gigantischen Mixer gegeben, alles gut durchgerührt, es in eine ansehnliche Form gegossen und somit Michael erschaffen.
„Ich glaube, Gott ist ein Fisch,“ sagte ich einmal zu Michael. Wir lagen in einem Kornfeld, in dem wir uns manchmal versteckten um ungestört zu schmusen.
„Was für einer?“
„Ich meine, sein Sternzeichen ist Fische.“
Er schmunzelte. „Warum glaubst du das?“
„Nur so. Einfach nur so.“
Und dann erzählte ich ihm die Geschichten, in denen ich Aevin, Edalo Kosch oder Lefpagua war. Er hörte mir zu. Gebannt und schweigend, bis ich endete.
„Wie hieß dein Schwert?“
Ich warf ihm einen bewundernden Blick zu. Er wusste, dass ein bedeutendes Schwert einen Namen trug.
„Feuerklinge,“ entgegnete ich.
„Ein schöner Name.“ Er betrachtete aufmerksam mein Gesicht und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. „Eniem eßorg Ebeil.“
Eniem eßorg Ebeil. Es hörte sich wunderbar an, so, wie er es betonte. Wie der Name eines Engels oder die Sprache der Elfen. Vermutete ich.
„Was bedeutet das?“, fragte ich mit klopfendem Herzen.
„Meine große Liebe.“ Er zog mich an sich.
Das war der Nachmittag, an dem ich begriff, dass Aevin die Nivea Creme war, Edalo Kosch bloß Schokolade und die kühne Lefpagua Opas Augapfel.
Michael lachte leise und raunte: „Eniem Ebeil.“
Das Lachen und das Flüstern der elbischen Worte waren wie ein Zauberspruch, der sich in einen besonderen Honig verwandelte und süß durch meine Adern floss.
Michael war ein hochgewachsener Bursche. Ich mochte das, denn große Männer hatten herrlich große Hände und schienen in ständiger Sorge zu leben, dass sie damit versehentlich jemanden verletzen könnten. Deswegen waren sie besonders bedächtig.
Nur starke, derbe Männerhände können wirklich behutsam sein und einen Körper so unendlich sanft verwöhnen, dass man diese Berührung nie vergisst.
Ich erinnere mich manchmal daran, wenn ich nachts erwache, weil ich von Michael geträumt habe und mich frage was aus ihm geworden ist. Ob er ab und zu an Eniem Ebeil denkt?

Nach ihm lernte ich einen launischen Zwilling, einen unzuverlässigen Skorpion und einen langweiligen Steinbock-Mann kennen.
Natürlich funktionierte keine dieser Beziehungen, was mich in dem Glauben bestärke, dass nur Fische-Männer eine Frau zufrieden stellen können.
Ausgerechnet im Monat der Toten, im November, lernte ich Christian kennen.
Er hatte keine wilden, dunkelblonden Locken, seine Augen waren braun nicht grün. Außerdem trug er eine Brille und ich bezweifelte ernsthaft, dass er durch die Ösen von zwölf Äxten schießen konnte.
Aber er war groß, verfügte über Bartstoppeln und war ein Fisch.
Das war ein Anfang.
Er nannte mich weder Eniem Ebeil, noch hatte er einen anderen Kosenamen für mich. Doch seine Hände waren von beeindruckender Größe.
Männerhände, bei deren Anblick mir wohlige Schauer durch das Mark des Rückgrates krochen, wie Kriechströme durch Leitungen.
Letztlich war es Catull, mit dem er mich für immer an sich band:
Wir saßen auf der Couch in seiner Wohnung, und ich überlegte, wie ich ihn dazu bringen konnte seine kolossalen Hände an mich zu legen.
Als hätte er meine Gedanken erraten, hob er seine Pranke, streckte einen Finger aus und fuhr mir über die Lippen.
Vorsichtig stieß ich mit meiner Zunge dagegen. Ich werde nie seinen Blick vergessen. Es war, als würde er mich zum ersten Mal richtig ansehen.
Seine dunklen Augen schienen jedes winzige Detail meines Gesichtes aufzunehmen und ein inniges Lächeln spielte um seinen Mund.
Dann sagte er es, leise, aber voller Leidenschaft:
Unser bescheidenes Licht erlischt einmal,
dann umfangen uns Nacht und Schlaf für alle Zeit.
Gib mit tausend und darauf folgend hundert Küsse.
Dann noch tausend und noch ein zweites Hundert,
Und so immerzu tausend und noch hundert.
Sind es dann recht viele Tausend, bringen wir sie
Durcheinander, auf dass wir nichts mehr wissen
damit uns kein fieser Mensch beneide,

wenn er weiß, dass es so viele Küsse waren.“
Er flüsterte es in mein Ohr, und es gab kein feines Härchen auf meinem Körper, das sich nicht aufstellte, wie Grashalme, die sich der Sonne entgegenrecken. Es kribbelte hinter meinen Ohrläppchen, breitete sich von dort über den Hals aus, und weiter zu den Brüsten, die sich nur noch von seinen großen Händen umfassen lassen wollten.
Aber am meisten prickelte es tief im Bauch, in der Mitte des Körpers, da wo meine Seele schwirrte.
„Sag es noch einmal. Die Stelle mit den Küssen.“
„Gib mir tausend und darauf folgend hundert Küsse.
Dann noch tausend und noch ein zweites Hundert,
und so immerzu tausend und noch hundert.
Sind es dann recht viele Tausend, bringen wir sie
Durcheinander, auf dass wir nichts mehr wissen.“
Und dann küsste er mich.
Tausend Mal, und darauf gab er mir noch hundert Küsse, noch einmal Tausend und ein zweites Hundert. Immerzu Tausend, und hundert - bis ich schließlich nackt unter ihm lag und mich ihm atemlos entgegenreckte und nichts, aber auch gar nichts, dagegen tun konnte.
Er strich mit samtigen Bartstoppeln über meine Wange, den Hals entlang, über die Linie zwischen den Brüsten, glitt tiefer hinab, über den Bauch, zwischen meine Schenkel .
Ich hatte das Gefühl, ich würde mich auflösen, dass sich ein Atom nach dem anderen vom Körper löste und einfach davon flog, ihn höhere Sphären.
Er sah über meinen Bauch mit glänzenden Augen zu mir auf und sagte:
„Tausend Küsse, und hundert ... „
Und ich ließ es geschehen.

Der nächste Mann dem ich verfiel, war auch ein Fisch.
Aber ein kleiner.
Er kam im März vor zwei Jahren zur Welt. Wir gaben ihm den Namen Robin, weil sich das Standesamt weigerte Odysseus zu akzeptieren.
Ich erzähle ihm die Geschichten von der tapferen und schönen Lefpagua, die mit Piraten segelt und mit ihrem Schwert Feuerklinge so manches Abenteuer besteht.
Wenn er nicht einschlafen will, liest sein Vater im Gedichte von Catull vor.
Ich glaube, er wird einmal einen vorbildlichen Fische-Mann abgeben.