Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Spannung

GirlfriendsGirfriends

Schon in der Grundschule teilten wir alles,
machten alles zusammen, Sofie und ich.
Wir tauschten unsere Pausenbrote aus und fuhren gemeinsam in die Ferien. Später, auf dem Gymnasium, rauchten wir die ersten, heimlichen Zigaretten und schwänzten hin und wieder den Unterricht.
Ich war es, die Sofie das Küssen beibrachte, weil sie damals für Jungs noch zu schüchtern war, und wir trösteten uns gegenseitig, wenn eine von uns Liebeskummer oder Zoff mit den Eltern hatte.
Nach dem Studium arbeitete Sofie in der Unfallchirurgie der Uniklinik.
Ich besaß ein Atelier am Stadtrand, in dem ich die meiste Zeit verbrachte.
„Deine Bilder sind fantastisch!“, behauptete Sofie. Sie hatte schon einige für die alte Villa gekauft, in der sie seit ihrer Heirat mit Mike wohnte.
„Ich beneide dich, Jenny. Du tust, was du willst. Malen, Bogenschießen. Genau wie Mike. Ich dagegen bin bloß ein Workaholic...“
Mike hatte eine Nachtbar, das „Rote Piano“ - nur dank Sofies Finanzspritzen konnte er sich das und seine Klavierspielerei leisten.
„Quatsch“, erwiderte ich auf solche Bemerkungen meist. „Du machst genau das, was dir Spaß macht: deinen Job. Dich plagt lediglich das schlechte Gewissen, weil Mike dabei zu kurz kommt.“
Dass Mike einsam war und die Nähe einer Frau, ein regelmäßiges Sexualleben vermisste, das wusste ich aus erster Quelle: von ihm selbst: „Du hast keine Ahnung, wie das ist, Jenny. Meist ist mein Bett leer, und wenn Sofie doch mal drin liegt, ist sie müde. Was soll ein Mann aus Fleisch und Blut da tun? “
Deswegen erstaunte es mich nicht sonderlich, dass Sofie drei Tage nach einer Gartenparty in mein Atelier stürmte und mich erbittert aufforderte, ihr meinen Bogen samt Pfeilen auszuborgen.
„Wozu?“
„Ich will Mike umlegen! Du wirst es nicht glauben, Jenny, aber er betrügt mich. Mich, die ich wirklich alles für ihn tue und jeden Cent in das Haus und die Bar stecke!“
„Wie kommst du auf so einen Schwachsinn?“ Meine Stimme klang gelassen.
Sie kramte in ihrer Handtasche und wedelte mit einem knallroten Damentanga vor meinen Augen herum.
„Deswegen!“, zischte sie aufgebracht. „Er steckte in der Couchritze! In unserem Wohnzimmer! Und mir erzählt er, dass er an einem Reitkurs teilnimmt!“, fauchte Sofie. Ihre Augen funkelten zornig. „Dabei habe ich erst am Wochenende gesehen, dass er es nicht einmal allein in den Sattel schafft. Ich werde ihn kaltmachen! Ihn und seine ... seine Stute!“
Ich lachte, legte meinen Pinsel zur Seite und redete in beschwichtigendem Tonfall auf sie ein: „Reg dich ab, Sofie. Denk doch mal nach. Was, wenn der Tanga von eurer Party liegen geblieben ist? Wer weiß, wer sich von der Terrasse ins Haus geschlichen hat, um allein zu sein?“
Verblüfft schaute sich mich an, dann ließ sie den Slip mit spitzen Fingern zu Boden flattern. Dort breitete er sich aus wie eine Blutlache. WEITER
„Vielleicht hast du Recht“, murmelte sie nachdenklich, „vielleicht auch nicht. Ich werde auf jeden Fall einen privaten Ermittler beauftragen! Dann habe ich Gewissheit und dieses nagende Gefühl in meinem Bauch ist weg.“
Einen Privatdetektiv? Allein der Gedanke ließ mir die Haare zu Berge stehen! Ich hatte keine Ahnung, ob und was solche Leute tatsächlich herausfanden, daher lächelte ich Sofie verschwörerisch zu. „Weißt du was? Den Auftrag übernehme ich. Frei einteilbare Zeit habe ich ohne Ende! Wann und wo, sagst du, hat er seine nächste Stunde?“
Sie umarmte mich, murmelte etwas von wahrer Freundschaft, Dankbarkeit und, dass ihr Verdacht vielleicht ja doch nur hirnverbrannter Blödsinn sei.
Als sie weg war, bückte ich mich und hob den Tanga auf.
Meinen Tanga.

Ich fand zu keiner Zeit, dass ich meine Freundin betrog oder ihr etwas wegnahm. Wir hatten immer alles geteilt, schon seit der Grundschulzeit – warum nicht auch Mike, der bei jedem unserer Treffen sagte: „Wie kommt das nur? Du küsst genau wie Sofie. Haargenau!“
Eine Scheidung der beiden lag überhaupt nicht in meinem Interesse! Im Grunde tat ich Sofie einen Gefallen und ich war auf sie niemals eifersüchtig gewesen. Zudem empfand ich das ganze Arrangement als äußerst bequem, denn ich suchte nicht mehr als ein bisschen Zuneigung und Zärtlichkeit bei einem Mann – ohne Verpflichtungen! Ich war glücklich, rundum glücklich und zufrieden in meiner kleinen Welt.
Aber die Sache mit den Reitstunden ... die fand ich ebenfalls eigenartig. Ich könnte nicht sagen, dass ich sofort argwöhnisch wurde, erst, als ich näher darüber nachdachte.
Mike hatte bei mir nie etwas darüber verlauten lassen und offenbar machte er im Sattel keine Fortschritte. Das bedeutete, dass sein Trainer entweder eine totale Niete war - oder dass Mike gar nicht zum Reiten ging. Also setzte ich mich an dem entsprechenden Tag in meinen Wagen und folgte ihm.
Er fuhr zu keinem Reitstall, sondern zu einem Waldgasthof der „Zum Reitersmann“ hieß. Und dort wurde er schon von einer gut aussehenden Brünetten erwartet.
Es war pures Glück, dass sie ein Zimmer im Erdgeschoss mit angrenzender Miniterrasse nahmen, der reine Zufall, dass sie die Terrassentür offen ließen und ich mich von den Reitkünsten der Brünetten überzeugen konnte.
Dass ich meinen Bogen nach dem letzten Training im Wagen gelassen hatte, war mir völlig entfallen. Vielleicht auch nicht, denn ich muss wohl zu meinem Käfer gerannt sein und ihn an mich genommen haben.
Jedenfalls lag plötzlich ein Pfeil auf der Sehne und fand surrend sein Ziel. Bohrte sich durch ihren Rücken. In Lungenhöhe. Trat direkt unter dem Brustbein wieder aus.
Da war Mikes erstarrter Blick, Unverständnis lag darin, tiefes Unverständnis, als er die Pfeilspitze betrachtete wie eine seltene Muschel.
Ehe die Brünette auf ihm zusammensackte, senkte ich den Bogen und wagte einen flachen Schuss.
Es sirrte.
Ein Treffer.
Durch Mikes Schläfe.
Ich ließ den Bogen sinken.
Was dann passierte, weiß ich nicht mehr. Irgendwo bellte ein Köter, ein Mann brüllte und dann saß ich in Handschellen in einem Polizeiauto ...

Ich erfuhr erst in der Untersuchungshaft, dass Mike auf der Stelle tot gewesen war. Die Brünette, Alice Keil, überlebte.
Doch nur für wenige Stunden.
Sie wurde in die Uniklinik eingeliefert. Es fiel Sofie tags darauf überhaupt nicht schwer, Zugang zu der Patientin zu bekommen und Alice eine Überdosis Morphium zu injizieren, zu Ende zu bringen, was ich begonnen hatte.

Heute hat sich ein Anwalt bei mir vorgestellt, Dr. Berger, mein Verteidiger. „Ihnen ist sicher klar, dass ich das eigentlich nicht darf ...“ sagte er, und schob mir einen kurzen Brief von Sofie zu, die bloß zwei Blocks von mir entfernt einsaß. Es waren nur wenige Zeilen:

Liebste Jenny!

Wir haben die besten Anwälte, die ich auftreiben konnte. Egal, was es kostet – die allerbesten Verteidiger für die allerbesten Freundinnen.

Immer deine Sofie