Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Spannung

Der Job

Ich wünschte, es würde aufhören! Aber ich bin machtlos gegen die Bilder in meinem Kopf. Ich muss noch nicht einmal die Augen schließen; Anna Sieders Anblick verfolgt mich.

Wie sie dalag, in einem tiefroten Kleid aus Seide ... Am rechten Fuß hing eine schwarze Pantolette. Der linke war nackt.
Ihr Gesicht war angeschwollen, bläulich verfärbt. Die Zunge quoll zwischen den Lippen hervor wie eine Nacktschnecke, und ihre Lider standen einen Spaltbreit offen, als würde sie einen verstohlen beobachten.
Der blutunterlaufene Wulst um ihren Hals schrie geradezu heraus, wie sie ums Leben gekommen war – aber nicht, wer es ihr genommen hatte. Dabei war sie am Freitag noch so lebendig und voller Tatendrang gewesen.

An diesem Tag ging ich zu einem Vorstellungsgespräch in Doktor Kühnes Kanzlei. Er ließ mich selbst herein, musterte mich und bat mich dann zu warten, weil er noch Besuch hatte.
Nervös saß ich im Warteraum. Für mich war das der erste Hoffnungsschimmer seit Jahren. Das Büro lag nur zwei Straßen von meiner Wohnung entfernt und das Geld konnte ich gut gebrauchen. Bei Sozialhilfe und zwei Teenagern dreht man jeden Cent nicht zweimal, sondern viermal um.
Ich hörte ein helles Frauenlachen hinter der geschlossenen Tür, hin und wieder Stimmengemurmel. Aber verstehen konnte ich nichts, weil auf dem Rathauslatz Demonstranten gegen den Ausbau der Autobahn protestierten: „Rettet das Mühlenbachtal!“, riefen sie. „Schützt die Natur!“
Nach ungefähr zwanzig Minuten öffnete sich die Bürotür und Doktor Kühne trat mit einer Frau heraus. Er schüttelte ihr zum Abschied die Hand.
„Also dann, Frau Sieder.“ Er grinste breit. „Ich sehe Sie dann Anfang der Woche, ja?“
Sie war kleiner als ich, schlanker und um einiges jünger. Ihr schwarzes Haar trug sie zu einem Zopf geflochten, der ihr fast bis zur Taille reichte.
Ihre Hände waren gepflegt, die künstlichen Fingernägel rosa lackiert. Das knapp geschnittene rote Kleid stand ihr ausgezeichnet.
Neben ihr wirkte ich wie ein Aschenbrödel. Man sah mir mein Alter deutlich an, jedes einzelne Jahr. Meine grauen Strähnen überdeckte ich mit einer billigen Tönung aus der Drogerie, an eine Garnitur Acrylnägel war überhaupt nicht zu denken und auch mein Kostüm hatte schon bessere Tage erlebt.
Sie lächelte Doktor Kühne zu. „Gut“, sagte sie. „Ich freue mich!“ Mit einem flüchtigen Nicken grüßte sie in meine Richtung und ging.
„Frau Klimm!“ Doktor Kühne rieb sich aufgekratzt die Hände. „Ich erledige noch einen klitzekleinen Anruf, danach bin ich für Sie da, ja?“
Ohne meine Antwort abzuwarten, ging er in sein Büro. Ich kam gar nicht umhin, durch den Türspalt ein paar Satzfetzen aufzuschnappen.
„Ich bin`s ... ja, sie ist eben raus ... war ein heißer Tipp!“, schwärmte er und senkte dann die Stimme zu einem Raunen. „Die kennt sich wirklich mit Vögeln aus ...“ – sein Lachen klang schmierig in meinen Ohren, „einfach sa-gen-haft.“
Ich schüttelte den Kopf. Widerlich, einfach nur widerlich, was manche Weiber für einen Job taten. Die waren sich wirklich für nichts zu schade.
„Hör mal“, gluckste Kühne. „Ich habe noch einen Termin ... nee, das dauert nicht lange. Bis gleich!“
Kurz darauf saß ich vor seinem Schreibtisch. Kühne blätterte rasch meine Bewerbungsunterlagen durch und erklärte dann, dass es noch eine zweite Bewerberin gab und er in Ruhe abwägen wolle. „Ich werde Sie morgen telefonisch informieren, damit Sie gegebenenfalls am Montag anfangen können. Sie, oder die andere Dame.“
Die andere Dame. Der ich vorhin begegnet war. Meine Konkurrentin. Ach was! Konkurrentin! Sie war jünger, attraktiv und offenbar ein Ass in Sachen Sex. Da konnte so eine wie ich nicht mehr mithalten. Im Job nicht, und beim Ehemann übrigens auch nicht, denn der hatte mich gegen ein jüngeres Exemplar ausgetauscht.
Beim Hinausgehen fiel mein Blick auf eine Visitenkarte. Der Name Sieder stach mir geradezu ins Auge. Anna Sieder, Im Wiesengrund 8.

Warum ich zu ihr rausfuhr und was genau ich von ihr wollte – ich weiß es nicht. Wirklich nicht! Vielleicht ihr jedes Haar einzeln herausrupfen, ihr die Krallen stutzen oder das rote Fähnchen zerreißen. Geplant hatte ich nichts, da war einfach nur ein Drängen in mir, ein Gefühl, als hätte ich einen glühenden Stein in meinem Schädel.

 

Es begann zu dämmern, als ich in die Straße bog. Ihr Haus war das letzte auf der rechten Seite. Anna stand hinten im Garten, schaute durch ein Fernglas und machte sich Notizen. „Guckt sich wohl die Sterne an, das kleine Luder“, dachte ich und schlich näher. Nach einigen Minuten ging sie ins Haus und ich trat - ohne das geringste Geräusch zu verursachen – hinter sie. Anna zog die Schultern hoch, so, als spüre sie einen kalten Luftzug.
Ohne mein Dazutun streckten sich meine Hände aus und schlangen blitzschnell ihren üppigen Zopf um ihren Hals. Er legte sich wie eine unerbittliche Boa constrictor darum und schnürte ihr die Luft ab. Das glatte Haar war schwer zu halten, es drohte mir durch die Finger zu rutschen, doch irgendwie schaffte ich es, die Schlinge enger zu ziehen.
Würgegeräusche erfüllten die Luft, Blut staute sich in Annas Gesicht und ihre Zunge drängte sich zwischen den Lippen hervor.
Sie zappelte, als würden Stromstöße durch ihren Körper jagen, und versuchte ihre Finger zwischen Hals und Strang zu quetschen. Ihre Nägel hinterließen Kratzer, aber sie konnte sich nicht befreien, konnte nicht einmal schreien. Nur zappeln und zerren und reißen und würgen und schlagen und ihr Leben aushauchen.
Ihre Füße trommelten auf den Boden, sie verlor eine Pantolette und ich spürte ihr Herz durch ihren Rücken gegen meinen Brustkorb hämmern: Wumm!, machte es, Wumm! Wumm!
Doch allmählich wurde es schwächer; pumperte, stolperte, flatterte wie die zarten Flügel der Zebrafinken, die in einer Voliere neben dem Fenster aufgeregt herumschwirrten. Die Vögel piepsten und tschilpten, flaumige Federn flogen heraus und dann, als Anna endlich still war, verstummten auch sie.

Natürlich rief Doktor Kühne mich an, wenn auch einen Tag später als vereinbart. Am Montag fing ich dann an, und am Mittwoch traf mich der Schlag, als ich zwei Vorgänge auf den Tisch bekam.
Einmal sollte ich eine Absage und Bewerbungsunterlagen für eine Stelle als Renogehilfin an eine Frau namens Stefanie Gregor zurücksenden.
Und dann war da noch ein Schreiben an Anna Sieder mit der dringenden Bitte, sich sofort in unserer Kanzlei zu melden. Wir brauchten das Gutachten bezüglich der unter Naturschutz stehenden Vogelarten, um den Ausbau der Autobahn zu verhindern, deren Gegner Doktor Kühne unentgeltlich vertrat.
„Wissen Sie“, erzählte der Chef, „Frau Sieder ist Ornithologien und eine Koryphäe auf dem Gebiet! Es wäre nicht das erste Gutachten, mit dem sie Umweltschützer erfolgreich unterstützt. Glauben Sie mir: „Die kennt sich wirklich mit Vögeln aus. Einfach sa-gen-haft!“

 

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Bisher unveröffentlicht
Bei Interesse an einer Publizierung: bine@windsbraut-online.de