Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Alltag

Katzenjammer

Benni ist seit drei Wochen tot. Siebzehn Jahre haben wir mit ihm zusammen gelebt, dann schlief er eines Abends am Fußende unseres Bettes ein und wachte nicht wieder auf.
Es kommt mir so vor, als wäre er schon vor einer Ewigkeit gestorben. Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass ich beobachtete, wie er durch den Garten stromerte, auf das Geräusch der Katzenklappe lauschte, wenn er nach Hause kam, und mit ihm schimpfte, wenn er sich auf meinem Schreibtisch oder dem Esstisch niederließ, weil er überall Pfotenabdrücke hinterließ.
Benni schnarchte. Seine Tatzen zuckten oft im Traum und er gab leise keckernde Laute von sich, was meinen Mann Georg und mich jedes Mal zum Lachen brachte.
Aber damit ist es aus und vorbei.
Ich horchte vergeblich auf sein Begrüßungsmaunzen und die rote Filzmaus, mit der er so gern gespielt hatte, liegt mit ihm unter dem Erdhügel zwischen den Heckenrosen. Das war sein Lieblingsplatz gewesen, von dort hatte er immer die Eichhörnchen belauert.
Seinen Fressnapf, das Körbchen, Decken, Bürsten und Spielzeuge hatte ich beim Tierschutzverein abgegeben. Ich konnte das ganze Zeug nicht mehr gebrauchen, denn ich wollte nie wieder eine Katze haben. Nie! Benni war einfach nicht zu ersetzen.
Es verging nicht ein Tag, an dem ich keines seiner karamellfarbenen Katzenhaare fand. Sie lagen zwischen der Wäsche, auf der Fensterbank, in seinem Fernsehsessel, unter dem Bett, ich entdeckte sie überall, klaubte sie auf und strich mit den Fingerspitzen darüber. Könnte ich doch noch einmal, nur ein einziges Mal, sein Fell kraulen!
Benni hatte allezeit Lust und Muße gehabt, zu schmusen und hörte mit aufgestellten Ohren und runden Augen zu, wenn ich etwas erzählte.
Wenn ich traurig war, verwandelte er sich in das haarigste Taschentuch der Welt und ließ mich in sein Fell weinen. Für mich gab es nichts Tröstenderes - und nun hatte ich ihn verloren.
In den Nächten träumte ich häufig, dass Benni neben mir im Bett lag. Ich spürte seine Schnurrhaare, wenn er an meiner Hand schnupperte, die Dichte und Wärme seines Felles, ich hörte sein Keckern und war glücklich.
Natürlich war mein Katzenjammer am nächsten Morgen um so größer und ich konnte es auch nicht länger ertragen, dass Georg immer wieder behauptete, nur eine Katze könnte mich trösten.
So ein Quatsch - das war es nicht, was ich wollte!
Ich wollte Benni.

Als ich eines Sonntags in den Garten ging, entdeckte ich dunkle Katzenhaare auf dem gelben Bezug der Gartenbank. Ich entfernte sie mit einer Fusselbürste, doch am Montag waren wieder welche da, ebenso, wie an den darauffolgenden Tagen.
Dann sah ich ihn zum ersten Mal.
Zusammengerollt lag er auf der Bank. Schweigend schaute ich auf ihn hinunter. Der winzige Kater ruhte träge in einem sonnigen Fleck und atmete ruhig. Manchmal öffneten sich die grünen Augen und schauten mich abschätzend an. Dann war es, als blickte man in schimmernde Teiche.
Er war höchstens neun, vielleicht zehn Wochen alt. Ein niedlicher Bursche mit zimtfarbenem Fell, schwarzen Blockstreifen und einem hellen Schnäuzchen. Er war so klein, dass man sich gar nicht vorstellen konnte, wie aus ihm je ein stattlicher Kater werden könnte, der rollige Katzen ansang oder sich im Revierkampf verteidigte.
Er fauchte, als ich ihm zu nahe kam, und schlug mit einem Pfötchen nach mir. Dann verschwand er mit wild aufgestelltem Fell in der Lorbeerhecke.
Gut! Er war nicht Benni, er war nicht einmal mein Kater und ich wollte auch nicht, dass er es wurde. Ich wollte mir keine Gedanken um ein Kerlchen machen, das in meiner Kloschüssel ertrinken könnte, in die Blumenbank pinkelte oder Tapeten zerfetzte.
Ich musste ihn nicht erziehen, es gab keine Kastration, keine Angst, wenn er nicht pünktlich von einem Rundgang zurückkam. Er würde nicht unter meiner Fürsorge von einem Winzling in die ungestüme Flegelzeit wechseln und danach zu einem gemächlichen Katerdasein finden. Ich bräuchte nicht zuzuschauen, wie er alterte, nichts von seinen Wehwechen mitbekommen oder erleben, dass er seine Zähne verliert – und letztlich stirbt.
Nein!

Nach einiger Zeit ertappte ich mich, wie ich morgens nach ihm Ausschau hielt. Bald darauf besorgte ich aus der Tierhandlung einen Fressnapf und Juniormenü für Katzen, das ich ihm im Garten servierte.
Georg sagte nichts dazu, dass ich regelmäßig die Terrassentür offenstehen ließ und den Atem anhielt, wenn das Tierchen – langsam und vorsichtig – durch den Spalt hereinhuschte, um es sich im Schaukelstuhl bequem zu machen.
Eines Tages hörte ich, wie ich seinen Namen aussprach, noch ehe ich begriff, dass ich ihm überhaupt einen gegeben hatte. Er kam ganz flüssig und selbstverständlich über meine Lippen.
„Henry!“, rief ich und suchte ihn im Garten, als er nicht zur gewohnten Zeit zum Essenfassen erschien. „Henry“! In meiner Stimme lag ein banger Unterton.
Und als er mit hocherhobenem Schwänzchen freudig auf mich zugelaufen kam, sagte Georg: „Gib`s zu. Er würde dir fehlen, wenn er nicht mehr da wäre.“
Ich antwortete nicht. Aber ich bückte mich und hob ihn hoch. Schnurrend rieb er sein Köpfchen an meiner Nase und ich trug das Fellbündel ins Haus.
In Gedanken machte ich bereits eine Einkaufsliste: Katzenklo und Streu für die ersten Tage und Nächte im Haus, Decken, Bürsten, Futternäpfe samt Futter und Spielzeug und einen Katzenkorb.

 

Der Korb steht im Schlafzimmer, gleich neben meinem Nachttisch; doch Henry bevorzugt die Besucherritze unseres Bettes. Manchmal hockt er maunzend da, als riefe er nach seiner Mutter. Wenn ich dann schlaftrunken nach ihm greife, schmiegt er sich in meine Hand, schnurrt laut und sein weiches Fell, das sich irgendwie wie Bennis anfühlt, und doch irgendwie ganz anders, kitzelt mich.
Es war nicht einfach, Henry beizubringen, dass man nicht in die Blumenbank pinkelt und sich die Krallen draußen am Baum schärft statt an den Tapeten, und ich wettete mehr als einmal mit Georg, dass dieser Kobold nie einen passablen Hauskater abgeben würde.
Ich habe die Wetten verloren. Aus Henry ist ein ganz annehmbarer Bursche geworden. Mein Kater, der mir um die Beine scharwenzelt, wenn ich das Heckenrosengrab besuche, mein Kater, der gemeinsam mit Benni in meinem Herzen haust.