Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Alltag

Kann ich nicht

Am liebsten möchte ich es nie wieder anfassen - aber ich kann es schließlich nicht einfach liegen lassen. Bei dieser Hitze kämen die Fliegen sofort in Scharen. Und ich hasse diese Viecher!
Es ist so klein. Zart, nackt und rosa liegt es zwischen all den Tiegeln und Döschen vor mir. Irgendwie mitleiderregend ... Ich sehe zartlila Äderchen, durch die kein Blut mehr fließt. Kein Atemzug hebt den Brustkorb, die feinknochigen Glieder sind bewegungslos.
Eben noch war alles in Ordnung! Ich wollte es fertigmachen, hatte mir schon alles zurechtgelegt und überlegt, ob ich es zuerst einölen sollte, da schoss diese ... diese heftige Abneigung in mir hoch. Einfach so, ich konnte nichts dagegen tun.
Wieder stoße ich das Ausbeinmesser in den Körper, treibe es durch das Fleisch, das sich nachgiebig und weich anfühlt und schneide drauflos.
Ich arbeite verbissen, zerteilte Fasern und Fett, durchtrennte Muskeln, Bänder und Sehnen, bis die Klinge an einen Knochen schrammt - da ziehe ich sie so schnell heraus, als hätte mich ein Schlag getroffen. Seit diese Augenblick weiß ich, dass ich es nicht zuende bringen kann.
Heftig atmend stehe ich da, und lasse das Messer einfach fallen. Meine Hände sind glitschig, mechanisch wische ich sie an den Jeans ab und schließe kurz die Augen. Ich will das alles nicht mehr sehen.
So schnell es geht stopfe ich den teilweise zerlegten Körper in einen großen Gefrierbeutel. Danach renne in den Keller und schmeiße ihn in die Tiefkühltruhe.
Ich schließe den Deckel, öffne ihn wieder und häufe Verpackungen mit Gemüse, Fisch und Pizza darauf, begrabe ihn unter Tiefkühlkost, bevor ich nach oben fliehe und saubermache.
Die frische Luft, die durch das geöffnete Fenster hereinströmt, vertreibt allmählich den Geruch. Vergessen will ich, nur noch vergessen, dass es da unten liegt.
Tot.
Tief gefroren, mit steifen Gliedmaßen, unter all den Schachteln und Tüten.
Schauderhaft.
Ich bin froh, als Erik anruft. Er lädt mich zum Italiener ein, nachdem ich ihm sage, ich hätte es nicht geschafft zu kochen. Deswegen müsse unser erstes gemeinsames Essen in meiner Wohnung ausfallen und ich würde wahnsinnig gerne ausgehen – was wir auch tun.
In den folgenden zwei Tagen mag ich gar nicht an die Truhe gehen, habe jedes Mal Angst, es könnte irgendwie nach oben gekrochen sein, und ich würde den bleichen mit Eis überzogenen Rücken zwischen dem Rotkohl, den Fischstäbchen und der Calzone schimmern sehen. Oder, noch schlimmer! es schaut mich an.
Ist natürlich Unsinn, pure Einbildung! Geht ja auch gar nicht, es hatte doch keinen Kopf mehr.
Trotzdem kann ich nichts dagegen machen, und da weiß ich, es muss verschwinden.
Endgültig.
Raus aus dem Haus.
In die Mülltonne schmeißen? Die ist rappelvoll, und dann der Gestank!
Vielleicht im Garten vergraben, ganz hinten, bei dem Komposthaufen, da fällt es nicht auf, wenn es mal stinkt oder ein Knöchelchen herum liegt.
Oder einfach in den Rhein werfen?
Aber wann?
Bei dem schönen Wetter sind immerzu Leute unterwegs, Tag und Nacht. Ich könnte es sicher nicht tun, ohne, dass mich jemand sieht. Ich meine, die würden doch denken, ich hätte den Verstand verloren.
Und es ist doch auch nicht normal, oder?
Außerdem war es nicht billig. Also gehe ich zum Telefon, tippe die Nummer ein und warte, dass der Hörer aufgenommen wird.
„Hallo Mutti!“, druckse ich verlegen herum. „Ich hätte da ein Kaninchen auf Eis ... allerdings nur teilweise zerlegt ...“