- Blutsbrüder
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Gelacht hatten meine Eltern über die Bräuche auf dem Land. Gelacht und den Kopf geschüttelt über solchen Aberglauben.
Das Lachen ist ihnen zwischenzeitlich im Hals stecken geblieben und an unserer Tür hängt – wie überall im Ort - ein Kranz aus Weißdorn, Knoblauch und wildem Thymian. Auch verlässt mit Einbruch der Dunkelheit niemand mehr das Haus.
Heute ist mir klar, dass jede Seele in diesem verdammten Nest Bescheid wusste. Trotzdem hat uns niemand gewarnt.Nicht einmal Mika.Mika.
Unsere erste Begegnung nach dieser Sache im Wald war einfach grauenhaft! Ich werde nie vergessen, wie er flüsterte: „Ich kann es hören, Sem.“
„Was?“
„Dein Blut. Es rauscht ganz leise. Ein wenig davon fließt auch in mir.“
Das stimmt.
Wir sind Blutsbrüder.
Wahrscheinlich hatten wir es in einem Film gesehen oder irgendwo gelesen. Jedenfalls hockten wir am letzten Freitag im Oktober an der Flussbiegung und schlossen Blutsbrüderschaft.
Ich biss die Zähne zusammen, als ich mir mit meinem Schweizer Taschenmesser – ein rotes Victorinox mit dem weißen Kreuz darauf und mein ganzer Stolz – in den linken Unterarm schnitt. Es tat nicht besonders weh, also gab ich Mika das Messer, und er machte es mir nach.
Wir pressten die Wunden aneinander, während wir unseren Eid sprachen:
„Vereint knien wir hier zur Dämmerstund´
zu schließen mit unserem Blut den Bund,
wir schwören, nie auseinander zu gehen,
ganz gleich was geschieht, zueinander zu stehen.“
Es hatte etwas von Winnetou und Old Shatterhand. Wenigstens bis zu dem Moment, als Mika rief: „Es wird ja schon dunkel. Komm, wir müssen los!“
Wir nahmen den Trampelpfad, der durch die kniehohe Wiese in den Wald führte. Unter den Bäumen war es zwar schon wesentlich dunkler, aber der Weg kürzte die Strecke nach Hause beinahe um die Hälfte ab.
Wir kamen an der abgestorbenen Buche vorbei, zwischen deren Wurzeln man die Leiche des Dorfsäufers gefunden hatte. „Bleich wie Schweineschmalz, eiskalt und so tot wie der Baum“, erzählte Mika mit Grabesstimme. „Alle haben ihn Steinhäger genannt. Das war sein Lieblingsschnaps, und Steinhäger geht seither durstig um.“
„Halt die Klappe!“ Langsam wurde mir unheimlich und ich war froh, als Mika tatsächlich schwieg.
Die Schatten vertieften sich. Wir stolperten mehr, als dass wir gingen. Ich bedauerte gerade, dass wir nicht die Landstraße genommen hatten, da schrie etwas hinter uns. Es klang wie der schrille Ruf eines Raubvogels und wir fuhren gleichzeitig herum.
Nichts zu sehen.
„Unheimlich“, wisperte ich. „Da kann man beinahe Schiss vor deinem Steinhäger kriegen.“
Mika lachte unsicher. „Sei nicht blöd!“, meinte er schroff. „Leg lieber einen Zahn zu.“
Wir setzten uns wieder in Bewegungen, liefen schweigend nebeneinander her. Trockene Blätter raschelten unter unseren Füßen und die ganze Zeit über gärte dieses Gefühl, dass jemand hinter uns war.
„Noch zehn Minuten, höchstens fünfzehn“, dachte ich, „dann kommen wir zur Straße. Da stehen Laternen. Wir werden von einem Lichtfleck zum nächsten rennen, lachen und angeben, dass wir keine Angst ...“
In diesem Augenblick kreischte Mika.LESEPROBE!
BISHER UNVERÖFFENTLICHT.
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