Inhaltsverzeichnis Kurzgeschichten / Spannung

Der Organismus

Stille.
So absolut, so abgrundtief, als hielte alles Leben inne.
Ein Photon, amarantrot, glüht auf, kurz nur, viel zu schnell für das menschliche Auge. Es jagt durch die Nacht und macht vor einer Tür halt.
Zahllose Teilchen folgen.
Lautlos formiert sich ein Schwarm und verdichtet sich zu einer Wolke; ein unruhiges Flimmern in der Dunkelheit, von so tiefem Purpur, dass es schwarz wirkt.
Der Dunst sinkt zu Boden, quillt unter dem Türspalt hindurch ins Haus und steigt auf der anderen Seite wie Rauch auf.
Gleichzeitig setzt der Organismus einen Wohlgeruch frei. Es duftet nicht nach Blumen oder exotischen Früchten, nicht herb, süß oder nach Hölzern und Gewürzen. Nein, es ist viel intensiver, betörender, fast überirdisch und so einladend wie eine Venusfalle für Insekten.
Der Duft zieht dem Schwarm voraus, verteilt sich in sämtlichen Räumen und hüllt schließlich Christin ein, die eben aus der Wanne steigt.
Ein „Mhm“ entfährt ihr, als er in ihre Nase steigt, und während sie begierig einatmet, macht sich unten an der Tür eine erwartungsvolle Unruhe in dem Schwarm breit.
Schwingungen gehen von seinem Zentrum aus und verdichten sich zu Tönen. Das Geräusch, das sie erzeugen, ist einer männlichen Stimme derart ähnlich, dass kaum ein Unterschied herauszuhören ist.
„Christin?“ Es klingt so sanft wie knisternde Seide. „Chris-tiiihn.“
„Ja“, antwortet sie entrückt. „Ja, ich ... ich bin hier.“
Sofort setzt der Schwarm sich in Bewegung; noch bevor er sein Ziel erreicht, verändern einzelne Partikel ihre Farbe wie Pixel auf einem Bildschirm.

 

LESEPROBE!
BISHER UNVERÖFFENTLICHT.
Bei Interesse an einer Publizierung: bine@windsbraut-online.de